Nicht von Ungefähr - 2.

Noch immer hat keiner einen Vorschlag gemacht, wie es denn mit dem armen Nicht weitergehen könnte

 

 

Wie er auf diesen Gedanken kam, konnte er jedoch selbst nicht sagen. Das Mobiliar seines Büros stand durchaus noch genauso da, wie er es gestern Abend zurückgelassen hatte, wenn man bei den uralten Regalen, Schränkchen und diesem, von Papieren überfrachteten, Schreibtisch denn im Eigentlichen von Möbeln würde sprechen können. Nicht hätte sich wirklich eine Büroausstattung leisten können, die seinem Stand angemessen war, doch hatte es ihm widerstrebt, für die Räumlichkeiten einen ‚architecte d’intérieur‘ zu konsultieren, wie die Frau Maman vorgeschlagen hatte. Bei solchen Angelegenheiten war Lukretia von Ungefähr sofort mit wahrem Feuereifer bei der Sache. Sie hatte es sich nicht nehmen lassen, selbst die Wohnung zu begutachten, die ihr Sohn für diese, von ihr mit Argwohn betrachtete Tätigkeit, der er vorhatte hier nachzugehen, zu begutachten. Widerstrebend hatte Nicht dem Drängen der Mutter nachgegeben, und kaum hatte sie das Naserümpfen über die beiden stickigen, engen Zimmerchen hinter sich gebracht, kramte sie einen Zollstock aus ihrer Yves-Sankt-Niklas Handtasche hervor und machte sich an die Arbeit. Nachdem sie alle Daten in ihr schweinsledernes Notizbüchlein eingetragen hatte, fing sie gleich darauf wieder an, Nicht die Idee vorzutragen, den Innenarchitekten Spakenburg doch noch zur Sicherheit hinzuziehen, da sie nicht genau wusste, ob sie selbst geschmacklich auf dem neuesten Stand war. Da hatte den jungen Herrn dann doch der Zorn erfasst und er hatte die arme Mutter kurzerhand vor die Tür gesetzt, soll heißen, er begleitete sie hinab und half ihr in den Einspänner, der immer noch unten auf der Straße auf die beiden wartete.

 

Fahr nach Hause, Maman!”, hatte Nicht von Ungefähr seiner Mutter beinahe flehentlich noch mit auf den Weg gegeben. „Lass mich doch bitte einmal im Leben etwas ganz alleine tun!”

 

Woraufhin Laurentia von Ungefähr, die, immer noch goldblonde, Lockenpracht, wie ein junges Mädchen geschüttelt, und erwidert hatte. „Als ob ich dir jemals Vorschriften gemacht hätte, mein lieber Nicht!“

 

Darauf hatte der brave Sohn nichts mehr hinzuzufügen gehabt, eigentlich hatte ihm der Satz auf der Zunge gelegen: ‚Doch nur weil du doch eh schon alles erledigst, bevor ich mir überhaupt eine Meinung bilden kann.‘ Jedoch brachte er es einfach nicht übers Herz, dies seiner Frau Mutter wirklich vorzuwerfen, am Ende war dieser Umstand doch auch immer sehr bequem gewesen.

 

Aber nicht nur um der Mutter einmal zu widersprechen, hatte Nicht von Ungefähr sein Büro schließlich auf diese eigentümliche Weise eingerichtet, wie es nun vor ihm lag. Die Schränke und Regale, in denen er etliche Aktenordner verstaut hatte, die zum allergrößten Teil sich durch vollständige Inhaltsleere auszeichneten, waren in dem Zustand, den man wohl erwarten konnte, wenn man alle diese Möbelstücke bei einer einzigen Haushaltsauflösung erstand. Praktischerweise hatte er auch sämtliche Ordner gleich mitgekauft, der Auktionator war froh gewesen, das Zeug nicht abholen lassen zu müssen, und so prangte auch auf den Aktenordnern, die er für seine ersten Fälle angelegt hatte, nun immer noch die Aufschrift: „Steuerfachbüro Kampstetter“.

 

Diese Institutionen waren, in den letzten Jahrzehnten erst, wie Pilze aus dem Boden geschossen, nachdem der Kaiser zur Abdankung gezwungen, und im Exil gemeuchelt worden war, hatte sich viel im Staatswesen des Kontinents geändert, und die jetzige Verwaltung von Weentbehl- Lachapelle führte ein weitaus strikteres Regiment gegenüber all den Fürstentümern, als zuvor die kaiserliche Regierung. Reichsverweser Puntigam und sein Finanzministerium wachten mit Argusaugen darüber, dass die Herren Barone und Herzöge ihr Scherflein zum Unterhalt des Staates auch beitrugen.

 

Nicht von Ungefähr hatte sich nicht die Mühe gemacht, die aufgeklebten Aufschriften von Kampstetter zu entfernen, der Kleber, mit dem sie befestigt waren, hatte sich als äußerst hartnäckig erwiesen. Das war nun wirklich den Aufwand nicht wert. Immerhin hatte der junge Mann schon beinahe drei der Ordner gefüllt, mit Informationen die Aufträge betreffend, die er schon abgeschlossen hatte, oder immer noch bearbeitete.

 

Auch der Papierberg, der sich auf seinem Schreibtisch so unerhört breitgemacht hatte, musste jedenfalls noch abgeheftet werden, stellte Nicht nun mit leichtem Schrecken fest. Aber momentan würde er noch ein Eckchen finden, um sein Whiskeyglas dort abzustellen.

 

Das war auch so eine merkwürdige Sache, den jungen Nicht hatte von Anfang an, als er das erste Mal seines neuen Arbeitsplatzes ansichtig geworden war, das Gefühl erfasst, wie man diesen gestalten müsse, und, was noch seltsamer war, gehörte ein immer halbvolles Glas Whiskey unbedingt zum Ambiente hinzu. Obwohl Nicht vorher niemals in seinem Leben der schlechten Gewohnheit des Rauchens gefrönt hatte, begann er jetzt, nachdem er hier oben eingezogen war, mit diesem Laster. Gut, er rauchte jeden Tag am frühen Morgen hier oben in seinem Büro nur einen dieser besonders übelriechenden Zigarillos, aus dem einzigen Grund, weil er glaubte, dies gehöre zum Berufsbild eines privaten Ermittlers unbedingt dazu. Nicht hätte nicht sagen können, wie er auf diesen abstrusen Gedanken verfallen war, doch hatte er genau dieses Bild von dem Berufsstand vor Augen, den er auszuüben beabsichtigte. Das war insbesondere so rätselhaft, weil er ja schließlich der Erfinder dieser Profession war. Um jedoch nicht dem Alkohol zu verfallen, hatte der junge Herr den Schnaps ersetzt durch kalten schwarzen Tee mit Zitrone. Es kam ihm nur darauf an, dass das Gesamtbild stimmte.

 

Auch die Schäbigkeit der Umgebung lag ganz in der Absicht unseres Detektivs. Es war, als befolgte er die Anweisungen eines Stückeschreibers, der sich in alles, selbst in die Angelegenheiten des Bühnenbauers, zwanghaft einmischen musste.

 

Nicht von Ungefähr warf sich in den Sessel, der dem Schreibtisch gegenüber stand, kramte das kleine Paket mit den Zigarillos hervor und zündete sich eines dieser Stinkestäbchen an, woraufhin er mit dem aufkommenden Hustenreiz zu kämpfen hatte. ‚Was sein muss, muss eben sein‘, dachte der junge Herr, als sich seine Augen begannen mit Tränenflüssigkeit zu füllen.

 

Was ist nur anders?‘, fragte sich Nicht noch einmal und ließ den Blick durch das Zimmer schweifen. Irgendetwas stimmte nicht ganz. Dann fiel sein Blick auf den Papierkorb unter dem Tisch, ein runder Rand aus feinem Sand hatte sich darunter gebildet. Nicht wusste sich dies nicht zu erklären. Es sei denn?

 

Neugierig geworden erhob sich der junge Mann, lief quer durch den Raum und beugte sich hinunter, ja da waren auch noch einige der papierenen Ausstanzungen auf dem Boden, wo er doch immer so darauf achtgab, dass nichts davon danebenfiel. Der Sand konnte nur von seinen eigenen Tretern stammen, aber er wusste haargenau, dass er seine verschmutzten Stiefel über dem Papierkorb ausgeklopft, und diesen dabei hinüber vor den Sessel gestellt hatte. Jemand musste das Behältnis ausgeleert haben, auf der Suche nach irgendetwas. Nicht musste sich wieder setzen, ihm war etwas schwindelig von der morgendlich zwanghaften Nikotinzufuhr.

 

 

 Vielleicht hat ja doch noch jemand eine lustige Idee für die Geschichte. Wer soll nun einen Autrag für den jungen Schnüffler haben?

 

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