Die Sache mit den Eiern

"Sag' mal Ansgar, was ist das eigentlich mit den Eiern, Ostern und den Hasen und das alles?", fragte Basti das Stofftier noch, obwohl er kurz vorm Einschlafen war, schon eine ganze Weile warm eingewickelt in seinem Bett lag und der Hase glaubte, er sei schon längst eingenickt.

"Das ist nun aber eine äußerst, äußerst schwierige Frage", meinte das Plüschtier nach einiger Zeit des Nachdenkens. Im Grunde zögerte er die Antwort etwas hinaus

"Sag' mal Ansgar, was ist das eigentlich mit den Eiern, Ostern und den Hasen und das alles?", fragte Basti das Stofftier noch, obwohl er kurz vorm Einschlafen war, schon eine ganze Weile warm eingewickelt in seinem Bett lag und der Hase glaubte, er sei schon längst eingenickt.
"Das ist nun aber eine äußerst, äußerst schwierige Frage", meinte das Plüschtier nach einiger Zeit des Nachdenkens. Im Grunde zögerte er die Antwort etwas hinaus, im Glauben, der kleine Kerl würde endlich doch einschlummern, immerhin war es schon beinahe neun Uhr, wie Ansgar ganz deutlich an den Digitalziffern auf Bastis Nachtischchen ablesen konnte. Es handelte sich bei dem Wecker um ein Original aus den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, das der Junge vor einiger Zeit auf dem Speicher entdeckt hatte, wo er des Öfteren einmal verbotenerweise in den alten Sachen seiner Eltern herumstöberte. Alles altes Gelump, das der Vater längst hatte in den Müll schmeißen wollen, doch Mama hatte gemeint, man könne vielleicht einiges davon noch mal auf dem Flohmarkt verkaufen. Zumindest den orangefarbenen Wecker mit seinen rotleuchtenden Ziffern hatte Basti retten können, vielleicht würde er ein anderes Mal noch mehr Brauchbares dort oben finden.
"Na, erzähl schon!", meinte jetzt der Junge, da der Hase anscheinend gar nicht mehr den Mund auftun wollte.
"Tja, wie gesagt, eine lange und dazu noch ungeheuer komplizierte Angelegenheit das Ganze", sagte nun endlich Ansgar und lehnte seinen Oberkörper auf dem Kopfkissen zurück, wobei er sich die Hände noch zusätzlich unter den Kopf schob und an die Zimmerdecke blickte, auf welcher phosphoreszierende Aufklebesterne noch das längt verloschene Licht der Nachttischlampe verstrahlten.
'Eigentlich seltsam', dachte das Plüschtier, 'das Licht der Sterne oben am Firmament stammt schließlich ja auch von Sonnen, die längst verloschen sind, wenn ihr Licht den weiten Weg bewältigt hatte, so dass man es hier von der Erde aus wahrnehmen konnte.' Für einen ganz normalen Hasen aus braunbeigem Plüsch war Ansgar ein recht philosophischer Zeitgenosse.
"Ja, dann fang doch an!", sagte jetzt Basti ungeduldig, er hatte es wirklich nicht leicht mit diesem Hasen, immer schienen die Gedanken des Tieres abzuschweifen, und wenn man ihn fragte, was denn sei, bekam man immer nur  Ausflüchte zu hören oder die Antworten waren derart unverständlich, dass zumindest ein Zehnjähriger sie kaum begreifen konnte.
"Also gut, wenn es denn unbedingt sein muss!", meinte Ansgar nun ebenfalls ein wenig genervt. "Aber beschwer' dich nicht, wenn du morgen früh wieder nicht aus dem Bett kommst! Immerhin ist morgen Schule!"
"Ja, ja!"
"Ja, ja, heißt ..." Ansgar überlegte, ob er dem Jungen dieses Geheimnis verraten sollte, ließ es aber lieber bleiben, Sybille hatte etwas dagegen, wenn Basti solche Sachen dann nachplapperte.
"Heißt ...?"
"Egal", sagte der Hase schnell und begann zu erzählen.

"Zu einer Zeit, als die Hasen noch auf dem Planeten das Sagen hatten, das muss nun schon einige tausend Jahre her sein und der Mensch war entweder noch gar nicht erfunden, oder aber war sich noch nicht darüber bewusst, dass man mit dem Kopf durchaus mehr Dinge zu vollbringen in der Lage war, als nur Kokosnüsse damit zu knacken, da wurde das gemeine Hühnerei sozusagen als ein allgemeingültiges Zahlungsmittel angesehen. Eine Tatsache, die sogar die Menschen, ganz unwissentlich noch einmal in Redewendungen bestätigten, wenn sie Geld auch heute noch manchmal als Eier bezeichnen; irgendeine Ahnung davon muss wohl in den Erbanlagen der Menschheit abgespeichert sein, dass auch vor ihrer Zeit schon intelligentes Leben auf der Erde existiert hat.
Natürlich konnte man auch für Karotten oder Radieschen die Sachen eintauschen, die man benötigte, doch waren Eier das Zahlungsmittel Nummer Eins, könnte man so sagen. Und diejenigen, die sich für die Produktion dieser Währung verantwortlich zeichneten, waren selbstverständlich die Hühner, verstehst du?" Ansgar hatte die Frage so geschickt in den Erzählstrom eingesponnenen, dass der Junge nicht aus dem Schlaf gerissen würde, wenn er denn geschlafen hätte, was aber keineswegs der Fall war.
"Natürlich versteh' ich, bin ja nicht doof", meinte Basti, der mit weit offenen Augen nach oben auf die, jetzt ein wenig schwächer strahlenden, Plastiksterne blickte.
"Das habe ich ja auch nicht behauptet, ich dachte nur ..., na egal!"
"Du warst bei den Hühnern!" Wirklich hatte Ansgar gerade fragen wollen, wo er denn stehengeblieben war, der Junge kannte sein Schmusetier wirklich in- und auswendig.

"Nun, Basti, die Hasen und die Hühner, das ist eben so eine Geschichte, ich meine, Hasen mögen keine Hühner und Hühner mögen keine Hasen. Frag mich nicht, warum das so ist, aber seit Hasengedenken befinden wir uns mit diesen dämlichen, krähenfüßigen, flugunfähigen Hennen und Hähnen nun einmal ..., nun nicht gerade im Krieg, doch immerhin in einer Art Fehde. Die ganze Sache hatte irgendetwas mit ihrem König zu tun, der unserem Meister, der auch heute noch Lampe genannt wird, wie du wohl weißt, beim Kartenspiel betrogen haben soll, auch hier ging es, wie du dir ebenfalls denken kannst, selbstverständlich um Eier."
Das Stofftier machte eine kleine Kunstpause, nur um zu testen, ob der Junge nicht doch endlich eingeschlafen war. Diesen Gefallen aber tat der ihm nicht.
"Ja, und weiter?!"

"Also Eier,", fuhr der Hase jetzt fort. "Die Geschichte beginnt an einem der schönsten Vorfrühlingstage, die das Land jemals gesehen hatte, manche Sträucher und Hecken hatten schon zu blühen begonnen, ein unwiderstehlicher Duft nach Leben strömte aus allen Poren des Erdreichs. Die Vögel, also die, die keine Hühner waren, sangen auf atemberaubende Weise schon am frühen Morgen, gerade wenn die Sonne ein träges Auge über die Hügel geworfen hatte, ihre schönsten Melodeien; die Hasen waren frohgemut ebenfalls schon in aller Frühe auf den Beinen, sogar in der Hauptstadt Lampeduda, die nach dem Begründer unseres vereinten Hasenvolkes benannt ist, waren die Beamten schon auf, stellten sich auf die Balkone ihrer Häuser, streckten und reckten sich in der noch etwas frischen Brise und riefen sich gegenseitig einen wunderschönen guten Morgen zu, da bei einem solchen Frühlingswetter selbst der ansonsten griegrämigste Hase nicht anders kann, als zu all seinen Mithasen einfach nett zu sein. Und Hasen können durchaus griesgrämig sein, das kannst du mir wohl glauben. Gut, ich selbst stelle in dieser Hinsicht vielleicht eine Ausnahme dar, aber wenn du wüsstest, wie übelgelaunt so mancher meiner Artgenossen sein kann, gerade kurz nach dem Aufstehen, wirklich schlimm, kann ich dir sagen!"
"Mmh, mmh", murmelte Basti, was in Ansgar die Hoffnung weckte, der kleine Kerl wäre nun doch endlich eingeschlummert.
"Schläfst du schon?", fragte der Hase jetzt, eine Frage, die er jedoch sogleich bitter bereuen sollte.
"Nein, erzähl schon weiter. Ich bin nicht mal ein klitzekleines bisschen müde!" Die Stimme des Jungen hörte sich wirklich in keiner Weise mehr so an, als dass Ansgar sich noch Hoffnung machen konnte, er würde um das Geschichtenerzählen vielleicht doch noch einmal herumkommen.

"An diesem wunderschönen, frühlingshaften Tag hörten die Hasen in der Hauptstadt Lampeduda also, es muss wohl so gegen neun Uhr gewesen sein, das Tröten der Fanfaren der häsischen Garde von den Zinnen der Festung herunterschallen. Niemand hatte auch nur die geringste Ahnung, warum dieser unerträgliche Lärm veranstaltet wurde. Die Musikanten, die der Garde angehörten, waren nicht unbedingt dafür bekannt, jeden Ton richtig zu treffen, ganz im Gegenteil spielten sie meist dermaßen schief, dass es musikalischen Hasen eiskalt den Rücken hinunterlief, bis hinab zum Bürzel, so dass manch sensibler Zeitgenosse sich schütteln musste vor Grauen.
"Was ist los?", "Ist ein Feuer ausgebrochen?", "Vielleicht kommte ein Sturm auf?", waren die Stimmen der Hauptstädter nun zu hören, insbesondere die Häsinnen wunderten sich doch sehr darüber, dass man nicht wusste, was da vor sich ging, waren diese doch ansonsten über alles bestens informiert.
Nichts davon war allerdings der Fall. Nein, recht bald sollten die Hasen von Lampeduda erfahren, dass ein Abgesandter der Hühnerkönigin Gonda mit einer größeren Abteilung furchterregend blickender Werhähne vor den Pforten der Stadt stand und Einlass begehrte. Zwar standen die Tore wie immer für jedermann offen, doch hatte man die Wachen im Pförtnerhaus des westlichen Tores dazu aufgefordert, dem königlichen Abgesandten den Empfang zu bereiten, der solch einem hohen Beamten unbedingt angemessen war.
Nachdem nun dem Wunsch des hähnischen Botschafters nachgekommen, und die Fanfaren verklungen waren, bewegte sich der schwerbewaffnete Trupp der Hähne nun auf der Hauptstraße hinauf zur Festung, in der Meister Lampe residierte. Im Übrigen hieß der Anführer der Hasenwelt immer Meister Lampe, obwohl der Meister zu der Zeit, als diese Begebenheit sich ereignete, tatsächlich noch ein Verwandter des legendären Lampe selbst war, der sich in diesem hohen Amt befand. Günther Lampe war nämlich der Urururururururururgroßneffe mütterlicherseits des legendären Gründers dieser berühmten, überall auf der Welt hoch angesehenen, häsischen Dynastie.
Als der Meister nun den Botschafter des Hühnervolkes in seinem Arbeitszimmer schließlich empfing, war auch er verblüfft über das Erscheinen des Hahns. Günther Lampe hatte nicht die leiseste Ahnung, was den hochdekorierten Kerl wohl nach Lampeduda führen mochte, niemand hatte sein Erscheinen angekündigt, und diese Vorgehensweise entsprach keineswegs dem diplomatischen Protokoll. Und obwohl der Botschafter doch die zeremoniellen Fanfarenklänge zu seiner Ankunft geradezu gefordert hatte, und dies immerhin auf der Stelle doch gewährt worden war, schien der Hahn selbst in keiner Weise bereit zu sein, sich in irgendeiner Weise diplomatisch zu verhalten. Er hatte gar darauf bestanden, zu seinem eigenen Schutz, wie er sagte, zwei Leibwachen mit hinein ins Amtszimmer Günthers zu nehmen, so als ob er einen Anschlag auf sein Leben würde erwarten müssen. Auch dies entsprach nun keineswegs dem Protokoll, doch der furchtlose Günther ließ auch dies unhöfliche Begehren zu, nicht ohne allerdings die beiden Werhähne, die den Diplomaten begleiteten, im Vorraum die Waffen ablegen zu lassen. Insbesondere die eisernen Klingen, die Werhähne Tag und Nacht an ihren eh schon scharfen Krallen trugen, stellten eine tödliche Waffe dar, die diese Kerle auch einzusetzen wussten, wie sie in vielen Schlachten vergangener Zeiten oft genug bewiesen hatten. Auf den Köpfen, den feuerroten Kamm verdeckend, trug die Leibwache jedoch immer noch den Helm, der von seiner Formgebung her genau einem solchen Hahnenkamm nachempfunden, jedoch aus härtestem Stahl gegossen war. An der Farbe dieses Kopfschmuckes war abzusehen, welchen Rang der jeweilige Hahn in der Hierarchie des Militärs innehatte, nur wusste Meister Lampe mit solchen Rängen überhaupt nichts anzufangen; er nahm jedoch an, dass es sich bei den beiden mindestens um Leutnants handeln musste. Der Haushofhase Plinz hatte den Botschafter angekündigt, daher wusste Günther nun auch den Namen dieses Hähnchens, denn es handelte sich bei diesem, ganz im Gegensatz zu seiner soldatischen Begleitung, um ein recht mickriges Exemplar seiner Art.
"Mein lieber Ministerialdirigent Poulet", begann nun der Meister und hoppelte auf den Hahn zu, den er beinahe um das Doppelte überragte, "Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen, Verehrtester, es muss auf dem Herbstball von ihrer Durchlauchtigkeit Gonda gewesen sein?! Ach der Walzer, keiner vermag doch dem Walzer diesen unwiderstehlichen Rhythmus zu geben wie die Musikanten der Internationalen Geflügelakademie eures wunderschönen Landes!" Günther hasste es selbst wie er daherredete, doch hielt er sich peinlich genau an das, was der berühmte Lehrer häsischer Anstandsregeln, der Halbmeister Knickerich in seinem Hauptwerk niedergelegt hatte. Im Grunde hatte Meister Günther nicht die geringste Ahnung, ob er diesem missmutig dreinblickenden Hähnchen überhaupt schon einmal begegnet war, oder nicht.
"Exzellenz, mein Erscheinen an Eurem Hof kommt doch wohl kaum unerwartet, möchte ich annehmen?", sprach Poulet und blickte fest in die Augen Günthers, so als wolle er etwas beweisen.
"Mein lieber Botschafter, ich muss gestehen, ich habe nicht die allergeringste Ahnung auch nur einer Ahnung!", sprach nun Günther. Der Meister der Hasenwelt war berüchtigt dafür, allzu oft sich einen Spaß aus den höfisch-häsischen Umgangsformen zu machen. Diese Art von Humor stieß allerdings bei Herrn Poulet auf vollkommenstes Unverständnis.
"Ihr könnt Euch wirklich nicht denken, zu welchem Anlass mein Erscheinen hier bei Euch am Hofe unbedingt notwendig geworden ist?", fragte nun der Botschafter und zog bei diesen Worten aus seiner grauen Weste, mit einer Flügelspitze ein Monokel heraus und klemmte sich diese winzige Sehhilfe, an welcher ein goldenes Kettchen herunterhing, ins rechte Auge. Jetzt wirkte Herr Poulet noch eine ganze Spur gewichtiger, fast hätte man über seine Statur, wie auch über sein Federkleid, das aussah, als befände sich der hohe Beamte in permanenter Mauser, hinwegsehen können, so ernst und feierlich sah der Gockel nun aus. Doch auch ein wenig arrogant, dachte zumindest Meister Günther und beschloss seine Taktik nun zu ändern. Knickerich hin, Knickerich her, dieses Hähnchen war immerhin doch nur ein armseliger, kleiner Ministerialdirigent der Regierung Gondas, und er hatte die Hühnerkönigin noch nie leiden können.
"Nun, ich hoffe, Ihre Exzellenz Königin Gonda befindet sich wohlauf? Ich meine, immerhin ist sie nun ja wohl auch nicht mehr die Jüngste!", sagte Günther und lächelte dabei auf eine Weise, die er selbst für spitzbübisch hielt. "Ich meine, die Arthritis, diese Kopfschmerzen, über die sie unentwegt klagt, und dann noch die Hühneraugen?"
Wenn Meister Lampe dies nun für komisch hielt, so kam diese Art Humor bei Ministerialdirigent Poulet jedenfalls in keinster Weise an. Ja, der hohe Beamte verzog nicht einmal ein kleines bisschen nur seinen Schnabel, ganz im Gegenteil hielt er beide Hälften desselben jetzt noch fester zusammengepresst und sah dem Hasen forschend ins Gesicht.
"Ich möchte Euch keinesfalls zu nahe treten, Sire", meinte er dann, in einem Tonfall, der Dotter würde gefrieren lassen können. "Aber haltet Ihr das etwa für lustig?"
"Na ja, irgendwie schon!", sagte Günther, nun wieder etwas kleinlauter.
"Nun egal, kommen wir zu dem Affront, den Ihr Euch unserer allerhöchsten Herrscherin gegenüber geleistet habt, welcher unmöglich ohne Folgen bleiben kann!", sprach Poulet scharf. Bei diesen Worten hatte er begonnen mit geschwellter Hühnerbrust auf und ab zu stolzieren, eine Angewohnheit dieser Leute, die wiederum bei Hasen keinerlei Applausstürme auszulösen vermag.
"Ihr habt es nun im dritten Jahr in Folge verabsäumt, Ihrer Majestät der hochgeborenen Edelhenne Gonda Eure besten Glückwünsche zu ihrem Geburtstag zuzusenden, Sire, und unsere höchsterlauchte Herrscherin ist nun in keiner Weise erfreut über diese vollkommenste Missachtung aller höfischen Umgangsformen. Daher hat sie nun mich beauftragt, Euch Sire, über folgende Veränderung in den Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern zu informieren. In Zukunft und damit meine ich, ab diesem Moment, werden die Eierlieferungen nach Hahasien gänzlich eingestellt!" Jetzt war Poulet endlich wieder stehengeblieben, nahm das Monokel aus dem Auge und starrte Meister Lampe auf eine geradezu herausfordernde Weise an.
"Wie jetzt?", fragte Günther Lampe konsterniert. "Was soll das bedeuten, keine Eier mehr?"
"Auf diesen einfachen Nenner könnte man es wohl bringen, Sire. Und ich rate dringendst davon ab, mich als Geisel zu nehmen, in meiner Begleitung befinden sich die tapfersten unter den Werhahnsoldaten, die zur Verfügung standen!" Wirklich erhoben sich die beiden Hähne, die mit hinein ins Amtszimmer Lampes gelassen worden waren bei diesen Worten nun, und beinahe erreichten sie tatsächlich Hasenhöhe, so groß und kräftig waren die Leibwächter des eher mickrigen Hähnchens Poulet gebaut. "Auftrag erfüllt, auf gehts!", sprach schließlich der Ministerialdirigent, nickte den beiden Werhähnen auffordernd zu, und hinaus waren die drei.
Als Günther endlich aus seinem Schockzustand erwachte und ans Fenster trat, konnte er schon den Hahnentrupp aus der Stadt hinausmarschieren sehen. Freilich lief der hohe Beamte nicht etwa zu Fuß, sondern hatte sich wieder in die hochherrschaftliche Kutsche begeben, die von einem Gespann aus acht zahmen Eichhörnchen gezogen wurde.
'Keine Eier mehr', dachte Meister Lampe und sagte in verzweifeltem Ton mehr zu sich selbst: "Eieieieiei!"

Nun begab es sich, dass dummerweise Haushofhase Plinz mit einer Gattin gesegnet war. Jetzt wäre diese Tatsache an sich ja noch nicht schlimm gewesen, doch neigte die holde Plinze, wie sie allgemein genannt wurde, ein klein wenig zum Tratschen. Kaum hatte also der Haushofhase Plinz seiner Plinzin von dem berichtet, was er widerrechtlicherweise belauscht hatte, als der Ministerialdirigent Poulet bei Meister Lampe vorsprach, da war das Unheil auch schon beinahe geschehen.
Frau Plinz hatte nichts Besseres zu tun, als gleich, als sie sich am selben Nachmittag bei ihrer Friseuse Fräulein Irmtraud auf einem dieser äußerst entspannenden Sessel niedergelassen, sich die Ohren glattgestrichen und zusammengebunden hatte, so dass sie nicht noch das Opfer der Coiffeurschere werden würden, da konnte sie auch schon nicht mehr anders, als mit dieser verrückten Geschichte herauszuplatzen. Ausgerechnet war jedoch ebenfalls Frau Hoppelfeld, die Gattin des gleichnamigen Vorstandes des Karottenzuchtvereins Frühlingslust anwesend, diese wollte sich gerade einmal eine dieser gerade in Mode gekommenen Dauerwellen gönnen und damit war nun das Schicksal des Hasenreiches sozusagen besiegelt.
In Windeseile sprach sich nun herum, dass es baldigst keine Eier mehr gäbe, nichts anderes war mehr zu hören auf den Straßen Lampedudas, und jedermann, der auch nur ein einziges Hühnerei noch auf der Hasenbank geparkt hatte, wollte dieses nun keinesfalls mehr eben dort belassen. Selbstverständlich war man sich darüber bewusst, dass, wenn der Eierstrom versiegte, das Ei ungeheuer an Wert würde steigen müssen, und da man in dieser Hinsicht der Bank in keinster Weise vertraute, was im Übrigen prinzipiell als ein vollkommen gerechtfertigtes Misstrauen zu bezeichnen ist, so hob man alles an Eiern, was man auf der hohen Kante hatte, am gleichen Tag noch von seinem Konto ab. Die zu spät Gekommenen hatten das Nachsehen, da nicht genügend der dotterhaltigen Währung sich auf der Hasenbank befand, immerhin investierte das Institut ja einiges in die Kredite, die sie den fleißigsten oder auch den durchtriebensten Unternehmern Lampedudas gerne verlieh, damit die Hasenwirtschaft gründlich angekurbelt wurde. Noch dazu hatte man sich mit der Eierwährung nun ausgerechnet ein Produkt ausgesucht, das immer wieder durch neue Einheiten ausgetauscht werden musste; wer wollte schon sagen, was ein Ei im Eigentlichen noch wert war, wenn es erst einmal faul geworden ist? Am selben Tage noch also war die Bank geplündert, kein einziges Ei war dort im Tresorraum mehr zu finden, das Bankhaus schloss seine Pforten und meldete bei Meister Lampe daraufhin höchstselbst den eigenen Konkurs an.

Als Günther Lampe am nächsten Morgen aus finsteren Träumen erwachte, da war im Grunde alles schon zu spät. Er ließ seinen Finanzminister, einen ehrbaren alten Feldhasen mit dem Namen Dinkelbert zu sich rufen, welcher zuerst ebenfalls ratlos hinauf an die hohe Decke des Amtszimmers des Meisters blickte, nach langer Überlegung schließlich mit der Schulter zuckte, und meinte, dass es dann wohl allerhöchste Eisenbahn sei, eine Ersatzwährung zu installieren. Günther Lampe wusste hiermit jedoch überhaupt nichts anzufangen, was in der drei Füchse Namen sollte jetzt nun wieder eine höchste Eisenbahn sein?
"Eine Ersatzwährung meinst du also, Dinkelbert? Wie sollte denn so etwas aussehen?", meinte schließlich Günther.
"Wir sollten vielleicht dieses Mal ein haltbareres Medium wählen!", überlegte daraufhin der Minister, sich den graumelierten Bart kraulend.
"Medium, was für ein Medium?"
"Nun, Sire, mit diesem Terminus wollte ich nun dasjenige Ding bezeichnen, das sozusagen der Träger des Wertes ist, also das, was vorher das gemeine Hühnerei gewesen ist!" Dinkelbert fragte sich manchmal, ob es nicht wohl angeraten war, das hochehrwürdige Erbfolgerecht, das immer einen waschechten Hasen der Lampe Familie zum Meister der Hasenheit machte, abzuschaffen. Dieser Günther hatte wirklich von Tuten und Blasen nicht die geringste Ahnung.
"Aha", meinte Meister Lampe nun in einem Tonfall, der Dinkelbert erahnen ließ, der oberste Hase hätte kein einziges Wort verstanden.
"Wir haben dort draußen am Rand der Salzseen doch in einer dieser Höhlen solch ein glänzendes Metall gefunden?"
"Du meinst das gelbe Zeug, das zu nichts taugt, weil es viel zu weich ist und sich zu leicht verformt!", fragte Günther nun, der sich an einen solchen Fund sehr wohl erinnern konnte.
"Genau das, wir könnten dieses Metall einschmelzen und wunderschöne, gelb glänzende, kleine Eierchen daraus machen!"
"Ja und? Dann haben wir kleine, glänzende Eierchen, und was dann?"
Dinkelbert erkannte heute zwar nicht zum allerersten Mal, so doch an diesem Tag auf besonders eindrückliche Weise, was für ein Torfkopf dieser Günther doch war.
"Wir könnten vielleicht sogar, größere, wie auch kleinere Eier aus diesem Zeugs gießen lassen und jedem einen anderen Wert zuordnen!"
"Häh!" Eine andere Antwort hatte nun der Minister nicht mehr zu erwarten gehofft.
"Nun, Sire. Wir könnten zum Beispiel sagen, ein Ei, das soundsoviel wiegt, ist soundsoviel Eierchen von weniger Gewicht wert!"
"Aber da ist doch noch nicht mal ein Dotter drin, oder?"
Als Dinkelbert mit seiner ruhigsten Stimme auf diesen Einwand antwortete, musste er sich selbst bewundern, allerdings würde er nach dieser Zusammenkunft mit dem obersten Anführer der Hasenheit unbedingt einen kleinen Radieschenbrand zwitschern müssen. Der stärkt die Nervenkraft und ist ebenfalls gut für die Verdauung, so zumindest der Hersteller dieses Tröpfchens.
"Aber Sire, das ist doch der Vorteil an der ganzen Sache, ohne einen Dotter werden diese neuen Eierchen immerhin nicht faul und büßen schon nach einigen Wochen gehörig an Wert ein. Was bedeutet, diese neue Währung müsste nicht permanent ausgetauscht werden, was uns immerhin die halbe Ernte an Sonnenblumen des gesamten Jahres kostet. Nein, ganz im Gegenteil wären wir vollkommen unabhängig von Königin Gonda und die Hühner könnten uns  in keiner Weise mehr unter Druck setzen!"
Meister Lampe verstand dies alles zwar immer noch nicht recht, war aber nur allzu gerne bereit auf die Vorschläge Dinkelberts einzugehen, ganz besonders wenn man damit dieser erbärmlichen Hennenkönigin ein Schnippchen würde schlagen können.
"Dann mach es also so!", sagte er daher und fügte gleich noch hinzu: "Wo muss ich unterschreiben?"

Wenn nun Meister Lampe tatsächlich der Meinung gewesen war, damit wäre die Sache schon überstanden, so hatte er sich doch in diesem Fall einigermaßen getäuscht, was ihm spätestens am nächsten Morgen bewusst wurde, als er die empörten Stimmen hunderter Hasen durch das geöffnete Schlafzimmerfenster heraufdringen hörte. Zuerst hatte Günther geglaubt, es handelte sich hierbei nur um die Fortsetzung des Alptraums, in welchem er sich gerade noch befunden hatte. Eine Riesenmeute Rotfüchse hatte ihn mitten im Wald aufgespürt und irgendwie hatte er es fertiggebracht, tatsächlich eine große Eiche hinaufzuklettern, eine Fähigkeit, die Hasen freilich nur im Traum beherrschen, und unten hatten nun die Monster gestanden und geifernd,  bellend, sich die Lefzen voller Erwartung auf sein zartes Fleisch leckend. Da hatten sich die Stimmen der roten Monster der Nacht in Rufe aus vielen Hasenkehlen verwandelt. 'Was war nun wieder los?'
Gerade als Meister Lampe sich hinaus auf den Balkon begeben wollte, um nachzusehen, was denn der ganze Radau sollte, ging die Tür seines Schlafgemachs auf und der Haushofhase Plinz steckte den Kopf mitsamt den langen Löffeln durch einen Spalt und lugte ins Zimmer hinein.
"Plinz, was ist da unten los?", fragte Günther, der im Nachthemd schon mitten im Raum stand, die gehäkelte Schlafmütze noch auf dem Kopf.
"Sire, die Leute sind etwas erbost!", meinte Plinz und trat näher.
"Wieso erbost?", fragte Günther Lampe, der sich auf dies alles so gar keinen Reim machen konnte.
"Nun, Sire, die meisten von ihnen haben nichts mehr von ihrem Vermögen von der Bank abheben können, oder wenn, dann nur noch ein paar jämmerliche faule Eier. Der Bankdirektor Füllsel hat die Leute dem Anschein nach zu Euch geschickt, um die Sache zu bereinigen!", klärte der Haushofhase Meister Lampe über die Situation auf.
"Aber warum zu mir?", Günther wusste nun wirklich nicht, mit was er ein solches Verhalten dieses elendigen Eierdiebes Füllsel verdient hatte.
Da zerschellten auch schon die ersten, nicht mehr ganz frischen Eier, knapp unterhalb des Lampeschen Balkons an der Wand des Gebäudes. Ein fauliger Geruch machte sich beinahe auf der Stelle breit. Kurz darauf konnte Meister Lampe doch tatsächlich einen der unverschämten Plärrer dort unten anhand seiner heiser, sonoren Stimme eindeutig identifizieren.
"Lampe, zeig dich! Was ist mit unseren Eiern passiert?!" Hier handelte es sich eindeutig um diesen versoffenen Haderlumpen Friedel Scharnagel, ein Ekel der ganz besonderen Sorte. Bei dem vorherigen Meister Lampe, Günthers Vater Egbert, hatte dieser Kerl doch tatsächlich noch ein wichtiges Amt im Ministerium für außerhäsige Angelegenheiten innegehabt. Doch Günther hatte einsehen müssen, dass man in Scharnagels Fall in keiner Weise auch nur von einer Spur diplomatischen Geschicks sprechen konnte. Beinahe wäre es nämlich, nur wegen Scharnagel, nach all den Jahren des Friedens doch wieder zu einer kriegerischen Auseinandersetzung mit den Igeln gekommen, die ganze Sache hatte damals nur beigelegt werden können, in dem man eine Art Wettrennen veranstaltet, und mit einer List die lahmarschigen Stacheltiere hatte gewinnen lassen. Auch heute bildeten die sich noch ein, die Geschichte wäre genau umgekehrt gewesen; gerade die Art und Weise wie Günthers Vater dies alles eingefädelt hatte, nötigte dem Sohn auch heute noch allergrößte Bewunderung für seinen verblichenen Erzeuger ab, und manchmal zweifelte Günther daran, ob er selbst es jemals fertig bringen würde, sich solch geschickte Winkelzüge einfallen zu lassen.
"Schicke nach Dinkelbert, Plinz, für was ist dieser Hasenfuß eigentlich Minister für Finanzen?"

Schließlich gelang es dem Finanzminister Dinkelbert doch noch, die aufgebrachte Menge zu besänftigen, wie auch zu zerstreuen, indem er ihnen die ersten gelben Eierchen präsentierte, die sie erhalten würden, zum Ausgleich für diejenigen Hühnerprodukte, die noch auf ihren Eierkonten verzeichnet waren. Er tauschte gar schon einiges der alten Währung, das nicht an der Wand der Hasenburg zerschellt war, den ersten, die sich in einer Schlange schließlich anstellten, in die neue Währung um, was die erhitzten Gemüter schließlich beruhigte.
"Puh, das ging ja gerade nochmal gut!", seufzte Günther Lampe, als wieder Ruhe eingekehrt war.

Nachdem nun eine große Menge des gelben Erzes, das man begonnen hatte, Gold zu nennen, eingeschmolzen und in Formen verschiedener Größe gegossen worden war, gewöhnte sich die Hasenheit überraschend schnell an diese neue Währung. Es war immerhin so doch alles viel praktischer, die Dinger wurden weder schlecht, noch gingen sie kaputt, wenn man sich versehentlich einmal draufsetzte, und so waren alle zufrieden. Alle, bis auf einige wenige, die sich nicht vorstellen konnten, wie dieses glänzende Zeugs denn einen Wert an sich darstellen konnte? Immerhin war ja mit diesem Gold kaum etwas anfangen, man konnte weder Rühreier, Spiegeleier oder auch nur ein simples Omelett damit fabrizieren, ja nicht einmal, um einen dünnen Pfannkuchen zuzubereiten waren diese goldenen Dinger zu gebrauchen. Daher misstrauten diejenigen unter den Hasen, die hinter allem und jedem immer nur finstere Machenschaften sehen wollten, diesen gelben Eierchen und weigerten sich beharrlich, die Hühnereier, die sie noch zuhause gehortet hatten, in das neue Zahlungsmittel einzutauschen, obwohl ein Verbot erlassen worden war, dies zu tun.
Diese rückschrittlichen Hasen also waren in beständiger Angst, dass man ihnen ihre Eier abnehmen könnte und liessen sich daher etwas einfallen. Zuallererst musste die alte Währung haltbarer gemacht werden, deshalb kochten viele ihr einstmaliges Vermögen nun mindestens eine Viertelstunde lang. Nur sahen die Eier immer noch aus wie Eier, und konnten als solche identifiziert und eventuell von staatlicher Seite aus, eingezogen werden. Da kam ein uralter Hase, der den ehrwürdigen, wie auch legendären Namen, Anton Mümmelmann trug, auf die Idee, die Eier anzumalen und in seiner Vitrine aufzustellen; so wurde die einstmalige Währung sozusagen zu einem kunstgewerblichen Ausstellungsstück und war nun kaum mehr als Währungeinheit einzuordnen. Viele machten es ihm schließlich nach und bemalten ebenfalls ihre hartgekochten Eier, trauten jedoch der Staatsmacht noch weniger über den Weg als der alte Mümmelmann und versteckten ihr wertlos gewordenes Vermögen in den Hecken und Büschen ihrer Gärten, in der Hoffnung, wären die Zeiten erst einmal wieder besser, würde man mit diesem Schatz etwas anfangen können. Und da die ganze Geschichte zur Frühlingszeit stattgefunden hatte, wurde dann Jahre später eine Art Tradition daraus. Immer dann, wenn die Palmkätzchen zu blühen begannen, versteckten nun die Haseneltern bemalte Eier und liessen ihre kleinen Söhne und Töchter danach suchen, was jedes Mal ein großes Ereignis und ein ganz besonderes Vergnügen zu werden begann.

Und als des Menschen Stirn etwas höher geworden war, muss irgendein sogenannter Homo sapiens, wie die Hasenheit angefangen hatte, die Wesen dieser neuen aufrechter ausschreitenden Rasse zu nennen, schließlich an einem frühlingshaften Morgen einmal einen Hasenvater oder eine Hasenmutter bei diesem Versteckspiel beobachtet haben und da die Menschheit damals den Hasen für ein quasi göttliches Wesen hielt, so tat man es den Hopplern nach und malte nun ebenfalls jedes Frühjahr aufs Neue Eier an und versteckte sie, nur damit die kleine Susi, oder auch der kleine Basti ...", hier machte das Plüschtier eine kurze Pause, "diese dann am Ostermorgen im Garten suchen konnten!"

Keine Reaktion. Der Atem Sebastians blieb genauso gleichmäßig wie schon eine ganze Weile über. 'Geschafft', dachte Ansgar, der Stoffhase mit den großen Löffeln, 'wieder einmal geschafft! War aber auch eigentlich eine ganz gute Geschichte, vielleicht sollte ich sie mal aufschreiben!' Und mit diesem Gedanken schlief nun auch der Hase Ansgar endlich ein.

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